Können wir bitte etwas ehrlicher über die Finanzierung von Journalismus diskutieren?

Ich habe eine gedruckte Papier-Tageszeitung abonniert. Im Jahr 1992 habe ich, kurz nachdem ich in München mein Studium der Kommunikationswissenschaft aufgenommen hatte, an einem Straßenstand einen Abonnementvertrag mit der Süddeutschen Zeitung abgeschlossen, und seitdem lese und bezahle ich diese Zeitung. Ich stelle das voran, um von vorneherein klarzumachen, dass ich kein egoistischer Kostenlos-Internetnutzer bin, der erwartet, dass mir alle Journalisten ihre Leistungen umsonst schenken.

Aber da der Chefredakteur der SZ heute in seiner wöchentlichen Abonnenten-E-Mail mal wieder mit untauglichen „für Ihren Kaffee bezahlen Sie ja auch“-Vergleichen versucht, Lesern, die journalistische Texte nutzen, ohne dafür zu bezahlen, ein schlechtes Gewissen zu machen, muss ich hier dieser einfach falschen und unehrlichen Darstellung einmal zwei sachliche Argumente entgegensetzen:

  1. Tatsache ist, dass der Print-Journalismus die Kostenlos-Kultur selbst maßgeblich entwickelt und über fast zwei Jahrhunderte sehr gut davon gelebt hat. Seit Entstehung der Massenpresse im 19. Jahrhundert wurden Presseerzeugnisse praktisch IMMER von Werbung mitfinanziert, kaum ein Leser hat jemals für eine Zeitung tatsächlich (anders als bei seinem Kaffee) die vollen Kosten durch den Kaufpreis getragen (der deckte früher nur ca. 30 % der tatsächlichen Produktionskosten); im Gegenteil gibt es bis heute – in manchen Ländern der Welt deutlich stärker als in Deutschland – viele völlig kostenlose, rein werbefinanzierte Zeitungsangebote. Ich finde es unehrlich und unverschämt, jetzt so zu tun als sei das alles eine Erfindung der geizigen und egoistischen Internetnutzer.
  2. Tatsache ist auch, dass dieses Geschäftsmodell heute nicht mehr für alle Medien funktioniert. Das liegt aber nur zu einem geringen Teil daran, dass Menschen aufhören, Zeitungen zu kaufen und stattdessen kostenlos im Internet lesen (die, die bisher Zeitung gelesen haben, machen das überwiegend auch weiterhin, sie werden nur immer älter und sterben irgendwann, während Menschen aus jüngeren Alterskohorten gar nicht mehr mit Zeitunglesen anfangen; entsprechende Daten habe ich hier schon veröffentlicht). Das Problem liegt viel stärker darin, dass die jahrhundertealten Werbeträger-Monopole der Verlage sich in der Digitalisierung aufgelöst haben und ins Internet abgewandert sind: Immobilien-  und Autoverkäufer kaufen heute keine Kleinanzeigen mehr in Zeitungen, sondern inserieren in Online-Portalen. Das ist weitgehend eine Folge der neuen technischen Möglichkeiten im Zuge der Digitalisierung und damit des Wandels der Vertriebswege der Werbung und nicht die Schuld der Zeitungsleser.

Ich bin ein großer Freund der Süddeutschen Zeitung, ich wünsche ihr alles Gute und hoffe, dass es sie noch lange gibt, es macht mich aber ausgesprochen ärgerlich und ich empfinde es persönlich auch als Unverschämtheit, wenn diese Tatsachen immer wieder ignoriert und die Schuld für diese durch verschiedenste Faktoren ausgelöste Misere der alten Medien so vereinfachend und auch unzutreffend den Nutzern in die Schuhe geschoben wird. Es ist aber natürlich auch schockierend, denn das zeigt, dass die SZ wie alle anderen Verlage immer noch vollkommen ratlos ist und offenbar nicht den geringsten Plan hat, wie es in Zukunft weiter gehen soll. Die Strategie der Verlage besteht heute offenbar nur darin, erstens ihre (potenziellen) Leser zu bedrohen, einzuschüchtern und ihnen ein schlechtes Gewissen machen und zweitens ihr Vertriebsmodell, das früher auf möglichst große und kostengünstige (werbefinanzierte) Verbreitung der eigenen Inhalte gesetzt hat, in ein geschlossenes System zu verwandeln, in dem man so wenig wie möglich sichtbar ist und die eigenen Angebote hinter Leistungsschutz- und Paywall-Schranken versteckt.

So wird das nichts mehr mit der Presse; ich habe zwar auch keine Patentlösung (könnte aber durchaus ein paar wissenschaftlich basierte Ratschläge geben), ich habe es aber satt, als Leser, der auch im Internet gelegentlich kostenlos etwas liest, ständig zum Alleinschuldigen an der Misere der Verlage gemacht zu werden, denn das bin ich nicht.

Unsere neue Buchreihe „Digital Communication Research“ im Open Access ist da!

Endlich ein Anlass, um dem Blog wieder Leben einzuhauchen! Ein Projekt, das Christian Strippel und mich gemeinsam mit weiteren Kollegen aus der Kommunikationswissenschaft (Christina Schumann, Jens WollinLogo_kleing, Monika Taddicken, Martin Welker) seit mehr als zwei Jahren beschäftigt hat, ist seit heute vorläufig abgeschlossen: Unsere Online-Buchreihe „Digital Communication Research“ ist da – eine Reihe, in der alle Bücher und (sofern es sich um Sammelbände handelt) auch alle Einzelbeiträge online frei zugänglich und über Bibliothekskataloge und Online-Datenbanken recherchierbar und abrufbar sind. DCR ist die offizielle Publikationsreihe der DGPuK-Fachgruppe „Computervermittelte Kommunikation“ (organisiert in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Online-Forschung DGOF) und hat selbstverständlich eine eigene Website, auf der viele Informationen und auch die Beiträge des ersten Bandes zugänglich sind: digitalcommunicationresearch.de.

Im Vergleich zu herkömmlichen Buchreihen erscheint unsere nicht bei einem Verlag, sondern sie wird durch die beteiligten Wissenschaftler selbst veröffentlicht. Da es in der Wissenschaft ohnehin üblich ist, dass die Erstellung der Texte und auch die Qualitätsprüfung in Peer-Review-Verfahren durch die Autoren und Fachkollegen selbst organisiert und vorgenommen wird, ist der zusätzliche Aufwand hierfür relativ begrenzt. Der Vorteil dabei ist, dass wir uns nicht vertraglich einer bestimmten Verlagspolitik unterwerfen und die Rechte an den Werken nicht abgeben müssen (sie werden stattdessen als Creative Commons zur freien Nutzung lizensiert – CC BY 4.0). Und da die Bücher und Texte online veröffentlicht werden, ist auch eine Druckerei nicht mehr wirklich nötig; wer aber trotzdem noch ein gedrucktes Buch haben will, kann sich das Buch per Print-on-Demand aber natürlich trotzdem ins Regal stellen.

Der größte Vorteil dieser digitalen Veröffentlichung aber ist für uns, dass die Texte sofort weltweit für jedermann und jederfrau lesbar sind, und nicht nur für diejenigen, die Zugang zu einer Bibliothek haben, die das Buch auch gekauft hat. Alle Beiträge werden mit digitalen Identifizierungsnummern versehen und über internationale Repositorien archiviert und verlinkt, so dass sie darüber sowohl in Literaturdatenbanken und Online-Bibliothekskataloge aufgenommen werden und dort dann sofort im Volltext verfügbar sind. Genauere Infos hierzu haben wir auf der DCR-Website zusammengestellt.

Eine genauso wichtige Meldung ist natürlich, dass damit auch der erste Band der Reihe erschienen ist, der von Christian Strippel und mit herausgegeben wurde: es ist der Band zur Tagung „Kommunikationspolitik und Medienregulierung in der digitalen Gesellschaft“, die wir im Februar 2014 in Berlin veranstaltet haben. dcr.v1.0Unter dem etwas verkürzten Titel „Kommunikationspolitik für die digitale Gesellschaft“ versammelt er elf Beiträge, die in ähnlicher Form auf der Tagung präsentiert wurden oder die zusätzlich aufgrund thematischer Passung in den Band aufgenommen wurden. So steht am Anfang ein Beitrag von Carsten Brosda, dem Medienbevollmächtigten des Hamburger Senats, der sich mit den grundsätzlichen aktuellen medienpolitischen Herausforderungen beschäftigt und dabei auch auf die Rolle der Kommunikationswissenschaft eingeht. Neben weiteren theoretischen Auseinandersetzungen mit Digitalisierung und Medienkonvergenz (etwa von Gerhard Vowe und Philipp Henn aus Düsseldorf) gibt es international vergleichende Analysen von Medienpolitiken und auch Fallstudien zu einzelnen Problemfeldern wie etwa zum Leistungsschutzrecht oder der öffentlichen Debatte über das ACTA-Abkommen. Aber da ja alle Beiträge und auch kurze Abstracts online über die Website des ersten Bandes zugänglich sind, muss ich hier keine besondere Werbung machen; jeder ist eingeladen, sich die Texte selbst anzusehen!

Warum eine „inhaltliche Auseinandersetzung“ mit den Piraten wenig bringt

Sowohl FDP-Chef Philipp Rösler als auch Klaus Ernst von der Linkspartei haben am vergangenen Wochenende eine „inhaltliche Auseinandersetzung“ mit der Piratenpartei angekündigt. Das ist aber vermutlich nicht die richtige Strategie. Man muss nämlich annehmen, dass die Herren (und auch die Protagonisten von Union und SPD) dabei nach wie vor an eine politische Auseinandersetzung alten Stils denken, nämlich: zuerst Programmentwicklung innerhalb der hierarchischen Parteistrukturen, dann die neuen inhaltlichen Angebote ins Partei-Schaufenster stellen und dafür um Kunden/Wähler werben. Dass die Piraten aber eben nicht wegen ihrer inhaltlichen Angebote so attraktiv sind – eine Protestpartei klassischen Stils, wie Klaus Ernst vermutet, sind sie erst recht nicht – sondern wegen ihrer grundsätzlich anderen Herangehensweise an politische Probleme, wollen die Herrschaften nach wie vor nicht wahrhaben.

Es ist ja gar nicht so, dass die Piraten besondere Lösungsvorschläge für aktuelle politische Probleme hätten: Selbst in der Netzpolitik gehen die Positionen über sehr Allgemeines (und zum Teil Utopisches) nicht hinaus, von anderen Politikfeldern gar nicht zu reden. Aber den potenziellen Wählern – mittlerweile je nach Umfrage-Art zwischen 10 und 30 Prozent der Deutschen – scheint das wenig auszumachen. Mittlerweile weiß schließlich (fast) jeder Wähler, dass die aktuellen gesellschaftlichen Probleme nicht so einfach zu lösen sind, wie es Parteien vor allem in Wahlkämpfen immer wieder versprechen. Glaubt denn wirklich noch jemand Behauptungen wie „dieser Aufschwung ist meiner“ oder „die SPD/CDU etc. pp. ist schuld an der Krise“? Jeder halbwegs vernünftige Wähler weiß, dass komplexe Probleme langfristige Arbeit bedeuten; das Bekenntnis, die Lösung nicht zu kennen, aber einen plausiblen Weg zu deren Lösung zu haben – nämlich offene, transparente und breit angelegte Diskussionsprozesse, deren Ergebnisse dann auch systematisch in eine Beschlussfassung eingehen – erscheint bei allem Chaos innerhalb der Piratenpartei immer mehr Menschen deutlich vernünftiger als die kindischen Hahnenkämpfe der Damen und Herren in ihren Anzügen und Kostümen mit parteifarblich abgestimmten Krawatten oder Blazern.

Liebe etablierte Parteien, Ihr müsst schleunigst realisieren, dass die Menschen des Jahres 2012 andere sind als die des späten 19. Jahrhunderts, als unser altes Parteiensystem entstanden ist: das Bildungsniveau steigt stetig an, die Bindung an das eigene Millieu – katholisch, Arbeiter, Beamte etc. – spielt kaum noch eine Rolle, die Lebenswege der Menschen sind nicht mehr von der Wiege bis zur Bahre durch Familien- und Klassenzugehörigkeit vorgezeichnet. Junge Menschen haben heute ungeheure Chancen der Lebensgestaltung und auch sehr viel mehr Eigenverantwortung als ihre Urgroßeltern. Und deswegen versammeln sie sich eben nicht mehr einfach als willige Masse hinter der roten Fahne oder dem Kirchenbanner und gehorchen den Anführern in der Hoffnung, dass diese dann schon alles regeln werden. Die Bürger des 21. Jahrhunderts wollen für voll genommen werden. Und das ist keine Frage des inhaltlichen Angebots im Schaufenster. Das ist eine Frage des politischen Prozesses, der sich in den nächsten Jahren dringend ändern muss, und zwar grundlegend: Pseudo-Veranstaltungen wie der „Zukunftsdialog“ der Bundeskanzlerin sind letztendlich nämlich auch nichts anderes als die klassische Schaufensterpolitik.